Markus Eulenkamp: Du stehst mit den Unternehmensdemokraten seit langem für das Thema Selbstorganisation und damit auch Partizipation. Wie kommt ein promovierter Sozialwissenschaftler auf das Nachhaltigkeitsthema?
Andreas Zeuch: Ich hatte mir während Corona 2021 Zeit genommen, über meine Arbeit nachzudenken: Wie will ich das letzte Drittel meiner Erwerbstätigkeit eigentlich verbringen? Was bewegt mich aktuell, was liegt mir wirklich am Herzen? Mir wurde rasch klar, dass es das Thema Partizipation in Unternehmen alleine nicht mehr sein kann. Denn der IPCC Bericht über die physikalischen Grundlagen Klimawandels von 2021 löste bei ihr den Wunsch aus, dass ich in dem Bereich zukünftig etwas beitragen will. So bin ich schnell auf die Idee gekommen, Partizipation und Nachhaltigkeit zu verbinden. Im Laufe der Zeit entstand aus dem dritten Kapitel “Arbeit als Demokratielabor” meines letzten Buchs “Alle Macht für niemand” die Idee für ein Programm zur partizipativen Entwicklung von Nachhaltigkeit in Organisationen.
„Die Einstellung-Verhaltenslücke zeigt sich auch bei Unternehmer:innen, nicht nur den Konsumenten“
Markus: Inwieweit liegt es demnach am Willen und nicht am Weg?
Andreas: Eher letzteres. Zu der eben angedeuteten mangelnden subjektiven Wichtigkeit seitens der Geschäftsführung haben wir gesamtgesellschaftlich kein Einstellungs-, sondern ein Umsetzungsproblem. Das liegt an einer erheblichen Einstellungs-Verhaltenslücke, die wir bei den meisten Konsument:innen finden und damit natürlich auch bei den Eigentümer:innen und den Geschäftsführungen. Gemäß einer aktuellen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2023 machen sich gut 80% der Deutschen große (33,5%) oder sehr große (46,6%) Sorgen um den Klimawandel. Gleichzeitig verzeichnen wir fortlaufend neue Rekorde beim Konsum wie bei SUV Neuzulassungen, Flügen, Ultra Fast Fashion etc. Wie passt das zusammen?
Eine interessante gesellschaftliche Ursache hat der Wiener Soziologe Ingolfur Bühdorn mit seinem Konzept der Emanzipation zweiter Ordnung herausgearbeitet: Bei der Emanzipation erster Ordnung ging es bei der weltweiten 68er-Revolution um die Befreiung aus “erstarrten Traditionen”, der Religion oder mit Kant gesprochen: aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Später folgte die Emanzipation zweiter Ordnung: die Befreiung von der zuvor erkämpften Mündigkeit mit ihren Verantwortungen und Verpflichtungen. Praktisch erleben wir das in jedem hysterischen Aufschrei infolge vermeintlicher oder echter staatlicher Regulierungsoptionen wie z.B. Tempo 100 oder einem Veggie-Day, was angesichts unzähliger bestehender Verbote und Gebote grotesk ist. Neben psychologischen Ursachen für die Einstellungs-Verhaltens-Lücke erscheint mir diese soziologische Erklärung plausibel zu beschreiben, was wir seit Corona mit diversen Freiheitseinschränkungen regelmäßig erleben.
Um das aufzulösen, erarbeiten wir kleine Schritte mit den Kunden, die sowohl Geschäftsführung als auch Belegschaft gut gehen können und damit niemanden überfordern. Das kann ein Sensibilisierungsworkshop sein, oder die partizipative Anpassung des Zukunftsbildes an die neuen Szenarien.
„Es ist möglich auch ohne neue Projekte Synergie-Effekte zu erzielen, indem die Art der Organisation und Zusammenarbeit geändert wird.“
Markus: Was bietest du in der Gemengelage aus Handlungsdruck beim Klima und keine Kapa bei Unternehmen deinen Kunden an? Kaufen die sich mehr Arbeit ein?
Andreas: Wir erzeugen möglichst Synergie-Effekte, indem wir kein neues Projekt aufsetzen, sondern ohnehin geplante Projekte nutzen, um zum Beispiel Partizipation einzuführen, indem einfach die Art der Organisation, Koordination und Zusammenarbeit geändert wird. Dadurch unterstützen und entlasten wir erstens z.B. Nachhaltigkeitsmanager:innen, die nicht selten Land unter sind. Zweitens erzeugen wir damit praktische interne Fallbeispiele für Partizipation und Selbstorganisation, oder noch konkreter: partizipative Nachhaltigkeitsentwicklung.
Markus: Verstehe ich richtig? So, wie externe Berater für das CSRD Reporting eingekauft werden, kann man euch auch für Projekte der Nachhaltigkeit einkaufen?
Andreas: Ja und Nein. Ja, weil wir Unternehmen gerne mit unserem partizipativen Nachhaltigkeitsprogramm begleiten. Das besteht aus fünf Modulen, die auch einzeln durchgeführt werden können, je nach aktuellem Stand und Bedarf. Nein, weil das so klingt, als würden wir mit jedem Unternehmen arbeiten, dass uns dafür bezahlt. So wie Kunden einen berechtigten Anspruch an unsere Kompetenz haben, möchten wir davon überzeugt sein, dass die Kunden es ernst meinen und nicht nur eine lästige Pflicht abhaken oder Green Washing betreiben. Denn Nachhaltigkeit ist auch für Kund:innen und Mitarbeitende wichtig.
Markus: Was ist der erste Schritt, den du Organisationen zur Entwicklung ihrer Nachhaltigkeit empfiehlst?
Andreas: Ich glaube, dass ein gemeinsam kreiertes Zukunftsbild hilfreich ist, das für alle Akteure anziehend ist: Wie genau sieht unser Unternehmen in X Jahren aus, wenn es ökologisch, ökonomisch und sozial maximal nachhaltig ist?
Im aktuellen Kontext geht es häufig darum, der Berichtspflicht nachzukommen – gerade jetzt und in naher Zukunft, da immer mehr Unternehmen darunter fallen. Aber damit sind wir sofort in einem KPI getriebenen Managementprozess, der wenig anregend ist, nicht selten als lästige Pflicht wahrgenommen wird und zu allem Bestehenden noch hinzukommt. Das unterbinden wir von Beginn an durch eine Musterunterbrechung der üblichen Vorgehensweise einer anfänglichen Diagnose, aus der dann Maßnahmen abgeleitet werden. Wir starten meist mit einem inspirierenden Zukünftelabor.