Gesucht: Innovation in Haltung

Universitäten untersuchen, wie eine drastische Reduzierung des Energie- und Ressourcenverbrauchs erreicht und gleichzeitig ein angemessenes, gutes Leben für alle gewährleistet werden kann. Dahinter steht die Haltung, dass dies möglich ist. Nur für wenige ist das nicht neu. Wir brauchen dieses Denken jedoch schnell bei einer kritischen Masse.

Am Freitag, 1.9.23, habe ich auf der 9. Degrowth Konferenz in Zagreb einen interessanten Vortrag gehört, in dem ein Forscherteam um Prof. Julia Steinberger ihr Forschungsprojekt vorgestellt hat: „REAL – A Post Growth Deal“, das bisher größte von der EU vergebene Projekt zu Degrowth/Postgrowth-Themen.

Warum brauchen wir die erhofften Erkenntnisse?

Meine Wahrnehmung ist, dass die überwiegende Mehrheit der sogenannten „gesellschaftlichen Elite“ sowie der breiten Masse in der Bevölkerung immer noch (unbewusst) von einem „Weiter-wie-bisher“ ausgeht, „… wir stellen ja auf erneuerbare Energien um, alles gut!“ Und: „… Deutschland und die EU streben an, in einigen Jahren klimaneutral zu sein – nochmals alles gut!“.  Die Politik (O. Scholz will „Deutschland-Pakt“ auch das Wachstum stärken), Unternehmenslobby und Wählerschaft kann aktuell offenbar nicht damit leben, dass es 0% Wachstum gibt – und das gut so sein kann. Oder sogar ein Schrumpfen im BIP: unvorstellbar für viele, unabdingbar für andere.

Tatsächlich wuchsen die CO2-Emssionen in dem Maße, wie die Weltwirtschaft wuchs. Die gute Nachricht: seit dem Corona-Lockdown bedingten Tiefstwert von 730 Millionen Tonnen CO2-Emissionnen in Deutschland 2020 ist der Wert 2021 und 2022 nicht wieder hochgeschnellt und stagniert in etwa auf dem Niveau. Die schlechte Nachricht: die als Land angestrebte Klimaneutralität liegt in weiter Ferne. Eine grün-technologische Revolution wäre in Verbindung mit einer anderen Lebensweise der Menschen (des reichen Nordens) nötig. Beides ist leider nicht in Sicht. (Link zu 6 möglichen Szenarien, wie es weitergehen könnte). Vor allem letzteres nicht: die Anzahl Flüge steigt wieder in Richtung Vor-Corona-Niveau und nicht-notwendiger Konsum wird lediglich aufgrund der hohen Inflation eingebremst, nicht aus Einsicht. Ich sehe kaum freiwillige Zurückhaltung in meinem Umfeld. Sie, liebe Leser, wissen bereits, dass gerade die Wohlhabenden und Reichen für besonders große CO2-Emissionen mit ihrem Lebensstil verantwortlich sind. Interessanterweise glauben ausgerechnet die Reichen und Wohlhabenden, klimafreundlich zu leben (Bio-Lebensmittel, E-Auto, Solaranlage, …).1

Doch. Wir haben ein Einstellungsproblem!

Angeblich mangelt es Deutschland nicht an einem Einstellungsproblem (vgl. Einstellungs-Verhaltens-Lücke). Ich behaupte das tut es doch! Zwar hat die breite Masse eine positive Einstellung zu mehr Klimaschutz (91% befürworten einen klimafreundlichen Umbau); gleichzeitig gibt es eine absolut mangelhafte Einstellung dazu, den eigenen Lifestyle an die Notwendigkeiten im Schutz von Klima und Biodiversität anzupassen. Dabei kann weniger mehr sein.

Und wir brauchen dringend eine Denk-Innovation

Der Begriff „Innovation“ meint wörtlich „Neuerung“ oder „Erneuerung“ (von lateinisch innovare‚erneuern‘ abgeleitet). Ich möchte hier nicht vorgeben, welche Haltungen andere haben sollten. Stattdessen soll dieser Beitrag Impulse geben, die eigenen Glaubenssätze zu Wirtschaftswachstum, Konsum und Lebensstil auf den Prüfstand zu stellen und eine Erneuerung an der Stelle zumindest nicht ganz auszuschließen. Was halten Sie davon?

  • „Ein gutes Leben für alle ist auch ohne Wachstum möglich und ich vertraue, dass wir gute Lösungen hierfür finden.“
  • „Ich kann besser leben, wenn ich vier Tage pro Woche arbeite und z.B. nur einen Fernseher im Haushalt habe.“
  • „Es nutzt auch uns im reichen globalen Norden, wenn wir Klimagerechtigkeit politisch und finanziell unterstützen.“
  • „Eigentlich habe ich alles, was ich brauche, schon längst.“
  • „Zeitwohlstand und Beziehungswohlstand sind inzwischen erstrebenswerter für mich als weiterer finanzieller Wohlstand.“

Laut einer Studie des Umweltbundesamtes (2018) sind die Deutschen schon seit Jahren bereit für den sozial-ökologischen Wandel inklusive ordnungspolitischer Maßnahmen.2

Was sind Ihre Gedanken zu neuen Haltungen, um der Klima- /Multikrise auf eine gute und wirksame Art zu begegnen?

 

Nachhaltige Führung kann trotz Einstellung-Verhaltens-Lücke gelingen.

Wir brauchen auch eine gute Vorstellung von einem Post-Growth Leben

Das zu Beginn genannte Forschungsprojekt ist ein multidisziplinäres Vorhaben, an dem die Universitäten von Lausanne und Barcelona federführend beteiligt sind. Das Ziel dieses Projekts besteht darin, eine Vision für eine nachhaltige und gerechte Wirtschaftsentwicklung zu entwickeln, die sich von der gängigen Wachstumsorientierung abwendet. Es zielt darauf ab, alternative wirtschaftliche Modelle und Politikansätze zu erforschen, die eine positive soziale und ökologische Wirkung haben, ohne zwangsläufig auf stetiges wirtschaftliches Wachstum angewiesen zu sein.

Zu 5 Arbeitspaketen des Projektes zählt zum Abschluss auch die Erforschung praktischer Anwendungen der vorher gewonnen Erkenntnisse. Meines Erachtens haben die drei Hauptforschungsfragen eine große Relevanz für unser Wirtschaften und Leben:

  1. Wie kann eine drastische Reduzierung des Energie- und Ressourcenverbrauchs erreicht und gleichzeitig ein angemessenes („gutes“) Leben für alle gewährleistet werden?
  2. (…) Wie können die Übergänge zu Post-Wachstum (Systemen) politisch bewältigt werden?
  3. Wie kann eine Konvergenz („wirtschaftliche Harmonisierung“) zwischen dem globalen Norden und Süden erreicht werden, und zwar auf einem Niveau, das für eine hohe menschliche Entwicklung ausreicht und mit den planetarischen Grenzen vereinbar ist?

Schade, dass Forschung so lange dauert – das Projekt ist ab Mai 2023 auf 6 Jahre angelegt. Denn gerade die erste Frage – ein gutes Leben für alle (Menschen, Tiere, den Planeten) unter Wahrung der planetaren Grenzen/Ressourcen – ist immens wichtig. Auch in Deutschland geht die Schere aus Arm und Reich seit Jahren/Jahrzehnten auseinander und die Regierungen haben keine Lösung gefunden oder/und wollten das nicht.

Ergänzend stimme ich Dr. Andreas Zeuch zu, der in seinem aktuellen Blogbeitrag fordert, dass wir einen neuen Umgang mit Nichtwissen brauchen: Nicht genau wissen, wie das Zusammenleben und Arbeiten in einer Post-Growth Gesellschaft aussehen wird, und trotzdem den Weg dorthin in kleinen und großen Schritten gehen.

 

Mit unserer Beratung gelingt nachhaltig führen.

Reden UND Handeln

Fast alle – Wirtschaftslenker, Politiker und Politikerinnen, die einzelnen Bürger – reden davon, dass wir angesichts der Multikrise eine Veränderung brauchen. Ja! Und nochmals ja! Und zwar im Handeln. Vorher kommt jedoch in der Regel eine starke Einsicht und Einstellungsänderung. Mich inspiriert das Vorleben anderer, z.B. ein Kollege, der seit einigen Jahren einen Flugverzicht mit der ganzen Familie lebt und sowohl den CO2 Fußabdruck der Familie konsequent Richtung 2 Tonnen p.a. pro Kopf drückt, als auch konsequent seinen Handabdruck neu ausgerichtet hat.

In Unternehmen: Wo erleben Sie selbst „weniger ist mehr“?

Persönlich erlebe ich das zum Beispiel beim Ausmisten, oder besser danach. Weniger Sachen, um die ich mich kümmern, die ich pflegen muss und daher ein Mehr an „Befreiung“ und Zeit. In Organisationen ist natürlich weniger Ressourcenverbrauch mehr gesparte Kosten und vermutlich ein besseres Image nach innen und außen.

Wie nehmen Sie das in Ihrem Unternehmen wahr? Werden Entscheidungen im Kern immer noch nach Kriterien der Wachstums- und Gewinnorientierung getroffen? Ich freue mich auf Beispiele per Email oder in einem Gespräch.

Erste(?) Schritte für Organisationen

Mit den Unternehmensdemokraten bieten wir 2-stündige, offene Impulsworkshops (online) an – vielleicht sind Sie interessiert? Themen sind unter anderem

  • „Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle“ und
  • „Green HRM“ & „Green Teams“.

Schreiben Sie mir bei Interesse wegen der Termine in Q4/23.

Ich biete auch kostenlose Erstgespräche und freue mich immer über einen guten Doialog.

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1 Bundesumweltamt (2016), Umweltbewusstsein und Umweltverhalten in Deutschland 2016. Sowie (2018) Vertiefungsstudie: Sozial-ökologischer Wandel – Anschlussfähigkeit und Engagement-Potenziale. Hier S. 32: Bei den „gehobenen Millieus (…) wird der Wunsch nach dem Erhalt bewährter marktwirtschaftlicher Strukturen sowie von ökonomischen Wachstumschancen und Wettbewerbsvorteilen deutlich.“

2 Bundesumweltamt (2018), S. 46

Weitere Quellen/Literatur:

  • Dittmar, Vivian: Echter Wohlstand. Warum sich die Investition in inneren Reichtum lohnt. (Kailash 2021)
  • Herrmann, Ulrike: Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wir in Zukunft leben werden. (Klepenheur & Witsch 2023)
  • Institut für Sozialforschung (isfo), https://www.ifsoblog.de/co2-emissionen-und-wirtschaftswachstum-szenarien-aus-dem-online-tool-decoupling-or-degrowth/
  • Umweltbundesamt (UBA), Umweltbewusstsein in Deutschland 2022. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage (BMUV 2023)